In der vergangenen Woche wurde ich zu einem Notfall gerufen. Ein Paar, dessen Partnerin schon etwas länger bei mir im Coaching war, hatte einen Streit eskalieren lassen. Es wurde sehr radikal, für meine Begriffe weit über die Grenzen der Toleranz hinaus. Dennoch musste ich beide Seiten hören. Ein Coach verurteilt nicht, er erklärt warum es so weit kommen konnte und sucht Auswege.
In diesem spezifischen Fall rate ich zu einem Ausstieg. Für meinen Geschmack hat das Paar genug für das Gelingen gekämpft. Die Waffen im gegenseitigen Krieg werden immer drastischer und sprengen längst den Rahmen eines normalen Beziehungsdramas. Für mich würde das heissen: Genug. Lass los. Ihr werdet keine Freunde mehr.
Wann ist es genug?
Eine Frage, die auch sonst immer zum Ende des Jahres im Raum steht: Wann haben wir genug? Wann haben wir genug gegeben und genug bekommen? Und auch: Genug eingesteckt, genug verhandelt. Genug ausgehalten.
Keine Frage: Beziehungen brauchen nach einer Weile auch ein bisschen Engagement und Arbeit. Wenn zwei zusammen bleiben, zusammen leben, vielleicht heiraten und eine Familie gründen wollen, dann braucht es viel Anpassung an die Individualität des Anderen. Toleranz. Aber auch: Verhandeln von Grenzen und Regeln. Nichts ist schlimmer als wenn ein Paar sich so sehr anpasst, dass es den anderen total absorbiert und aus 1 + 1 = 1 wird. Dann gibt es keinen Platz mehr für das eigene Fühlen und Denken, dann wird es eine grosse innere emotionale Abhängigkeit – und fällt einer der Partner weg, dann bleibt man halb zurück.
Vor einigen Jahren sagte ein Freundin sehnsuchtsvoll und schwärmerisch zu mir: OH! Wenn ich noch mal die grosse Liebe finde…! … – dann schenke ich ihm mein GANZES HERZ. Ich musste schmunzeln und sagte: Wie dumm von Dir! Dann hast Du keins mehr und er hat zwei, von dem er eins gar nicht braucht.
Wieso sind wir alle so sehr verliebt in diese Träume von der GROSSEN LIEBE die ausserhalb von uns, in einem Partner, einer Partnerin gefunden werden soll?
Vielleicht haben wir alle das Mär vom Prinzen auf dem weissen Pferd zu oft gehört oder die Gesellschaft macht uns weis, dass es das Glück auf Erden nur in der Zweisamkeit gibt.
Bist Du Dir selbst genug?
Gibst du Dir selbst genug Wohlwollen, Anerkennung, Wertschätzung und Liebe?
Hörst du auf deine Bedürfnisse und befriedigst Du Deine Sehnsüchte?
Findest Du ein Umfeld, das Dich nährt, das Dich sehr gut kennt und mit Dir umzugehen weiss, so wie es für Dich stimmig ist?
Hörst Du Deiner inneren Stimme zu?
Was brauchst Du für Dich ganz alleine, dass es für Dich genug ist?
In dem Fall des Beziehungsdramas sagte die Partnerin: Ich brauche es, dass er sich entschuldigt! Das tat er dann. Sogar freiwillig. Dreimal. Aber das war nicht genug. Sie musste wieder und wieder auf ihm herum trommeln. Und auch über Nacht wuchs die Wut auf ihn wieder an und wurde grösser. Es war nicht genug, dass Entschuldigungen auf beiden Seiten ausgesprochen wurden. Und ich muss ihr wieder sagen: Es reicht jetzt! Es ist genug! Lass los. Lass es gut sein.
Wenn genug heisst: Mein Fass ist voll! Ich brauche nicht noch mehr. Wenn es noch mehr wird, wird es überlaufen. Dann kann es auch heissen: Ich kann das geniessen was ich habe. Ich brauche nichts von aussen. Ich brauche grundsätzlich nichts mehr was meinen Seelenfrieden unterstützt.
Und auch: Wenn ich genug habe vom Krieg (mit mir selbst, mit meinem Partner, mit meiner Unzufriedenheit, mit meinem Blick auf die Welt) dann schütte ich das Giftfass aus (auf einer Sonderdeponie, nicht vor die Füsse deines Partners) und versiegle es: Zugang verboten.
Nutze das Fass zur Dekoration in deinem Garten. Aber fülle es nicht mit neuem Schrott, der dir irgendwann um die Ohren fliegt.
Ich wünsche Dir eine wunderschöne Woche in der Du genug von allem bekommst was Du begehrst und wirklich brauchst.
Willkommen in der Adlerperspektive.
