Chuzpe

Eines meiner allerliebsten Worte ist Chuzpe. Na, vielleicht nicht das Wort ansich. Menschen, die Chuzpe haben. Kennst Du das?

Im Hebräischen enthält der Begriff eine negative Bewertung für jemanden, der die Grenzen von Höflichkeit oder Anstand aus egoistischen Motiven überschreitet. Im Jiddischen und in den meisten europäischen Sprachen schwingt Anerkennung für eine Form sozialer Unerschrockenheit mit. Hier spricht man insbesondere von Chuzpe, wenn jemand in einer eigentlich verlorenen Situation mit Dreistigkeit noch etwas für sich herauszuschlagen versucht.

Unerschrockenheit und Unverschämtheit sind herrliche Eigenschaften.

Un – verschämt. Das heisst doch nichts anderes als: Ich schäme mich ganz und gar nicht zu sein wer ich bin. Wie ich aussehe. Wie ich mich zeige. Und schlussendlich: DASS ich mich zeige.

Herrlich!

Ich liebe unverschämte Menschen!

Ich erinnere mich an ein Theaterstück mit dem grossartigen deutschen Schauspieler Ben Becker. In der Vorführung hatte er uns alle in den Bann des Textes gezogen, den er gelesen und vorgetragen hatte. Danach brandete frenetischer Applaus auf. Standing ovations. Eben noch hatte Ben eine Rolle verkörpert, war seriös und äusserst konzentriert gewesen aber jetzt kam er auf die Bühne und verneigte sich und streckte die Zunge heraus, schlug sich wie ein Gorilla auf die breite Brust und schrie ins Mikrofon: „Ja Ja! Macht weiter!“ … und dann: „Was bin ich nur für ein selbstverliebtes Arschloch.“ Er war wirklich total unverschämt. Sozusagen Chuzpe in Perfektion.


Aber: Er konnte sich das auch leisten, er hatte etwas zu bieten, er hat auch vorher schon wirklich alles gegeben, sich zur Verfügung gestellt, nichts, gar nichts zurück gehalten. Die Wortgewalt von Ben ging durch jede Zelle seines Körpers. Er stand unter Strom und wir, seine Zuschauer und Bewunderer, mit ihm.


Chuzpe sehe ich aber auch gerne in weniger konzentrierter Form. Wenn eine meiner Coachees, wie in der vergangenen Woche, diesen kleines subtilen, frechen Humor besitzt, den dann gleich wieder zurück zieht und dann breit heraus lacht, das mag ich. Menschen, die sich zeigen und nicht erst schauen ob der Rahmen dafür stimmt und ob sie es sich jetzt leisten können.

Die meisten Menschen werden nicht geschätzt oder respektiert, weil sie ausnehmend freundlich oder nett wären, sondern weil sie ein trennscharfes Profil haben. Sie haben eigene Meinungen und Macken – und stehen dazu. Umgekehrt: Wer sich nie abgrenzt, um nirgendwo anzuecken und es allen recht zu machen, verliert an Profil und Respekt. Schon bald tanzen ihm oder ihr alle anderen auf der Nase herum. Menschen ohne jede Chuzpe oder Schneid werden leider oft und gerne ausgenutzt.

Zur Ambivalenz von Chuzpe schrieb der amerikanische Jurist und Publizist Alan M. Dershowitz in seiner Biographie: „Für denjenigen, der sie an den Tag legt, bedeutet Chuzpe Kühnheit und Entschiedenheit. Für das Opfer von Chuzpe ist sie gleichbedeutend mit Unverschämtheit. Es liegt am Standpunkt des Betrachters.“

Wie kühn kannst Du sein?

Was würde passieren, wenn Du Deine Zurückhaltung mal aufgeben würdest und einen Schritt aus der Komfortzone heraus machst? Quasi den Rahmen sprengst?

Das Tollste an Chuzpe ist der Überraschungsmoment. Wenn es eine Wendung gibt, mit der niemand gerechnet hätte. Wenn Du p l ö t z l i c h eine unglaubliche Aussage machst und jeder Dich anschaut.

Ich meine ganz und gar nicht, dass Du anderen Menschen auf der Nase herum tanzen sollst. Aber Mut beweisen im Alltag, einmal unverschämt auf Dich selber achten, das wäre schon ein super Anfang!

Ich wünsche Dir in der kommenden Woche einen Moment der unerwartenden Kühnheit, der Dich mit viel Lachen in ein ganz neues Spielfeld bringt.

Lass das Spiel beginnen.

Willkommen in der Adlerperspektive.

Diesen Blog widme ich natürlich dem grossen Gorilla Ben Becker. Und Sibyll-Jodie: Du machst was daraus, nicht wahr!

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