Kennst Du das auch?
Du bist in einer fremden Stadt, gehst durch Strassen und an Orte, die Du noch nie gesehen hast und fühlst Dich, als würdest Du irgendwie da hingehören. Oder es kommt Dir wenigstens auf eine seltsame Art heimisch vor.
Obwohl es nicht Deine Sprache oder Kultur ist, meinst Du: Da könnte ich auch irgendwie hin gehören.
Letzte Woche war ich das erste Mal in Reims, im Norden Frankreichs. Ich hatte nicht erwartet, dass es mich speziell ansprechen würde, weil ich gerade von meiner geliebten Insel kam und zudem eine Nacht in der wunderschönen Stadt St.Malo verbracht hatte. Am Abend, nach einer sehr langen Reise, lief ich noch ein bisschen durch Reims, um die Beine zu strecken.
Irgendwann kam ich auf eine „Rue Corteau“, stand plötzlich vor einem Haus. Ich schaute nach oben und dachte: da wohne ich auch.

Diese Erkenntnis traf mich im Bauch und Herz, weil mein Kopf selbstverständlich sofort protestierte. Warum sollte ich mir unbedingt Reims aussuchen? Die Stadt war nicht annähernd so bezaubernd wie St.Malo, auch nicht so geschichtsträchtig und pompös wie Paris oder Orleans.
Ich lief ein Stück weiter und setzte mich an einen Tisch auf einen Platz, der total voll war. Menschen sassen da und assen und tranken, alle waren fröhlich und glücklich, es gab Livemusik und Gelächter, es war ein wunderschöner Sommerabend. Schliesslich gelangte ich in einen Park, in den ein nahes Bistro seine Tischchen getragen hatte. Ein Mann sass alleine an einem Tisch und für einen Moment dachte ich, er wartet darauf, dass ich zum Essen komme.

Ich musste mich schütteln, um wieder in meine Realität zurück zu kommen. Auf dem Weg zurück zu meinem Hotel musste ich mir aufsagen wer ich bin, wo ich bin und warum ich gerade in Reims bin und wohin ich fahre.
Manchmal sind wir in Zwischenwelten unterwegs. Das Fremde wird vertraut, das Vertraute wird fremd. Wenn wir von einer langen Reise zurück kehren sehen wir unser Zuhause mit anderen Augen an. Wir müssen wieder hineinfühlen in das Leben, das wir eigentlich führen und uns lösen von dem Ort, an dem wir eben genauso ein gewohntes Leben geführt haben.
Geht es Dir auch so, wenn Du von Deinen Ferien zurück kommst?
Könntest Du auch problemlos da leben, wo Du dann bist?
Und: Warum tust Du es nicht?
Hast Du Sehnsucht nach einem anderen Leben?
Könntest Du Dir vorstellen, noch mal jemand anderes zu sein?
Du kannst das auch schriftlich tun. Es ist eine schöne Übung aus dem Buch: „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Da schlägt sie vor, man solle an einen Ort aus seinem Leben zurück gehen. Die Abzweigung diesmal nach rechts nehmen statt nach links. Losgehen in das dann anders Entschiedene. Was wäre gewesen wenn du das und das entschieden und getan hättest? Wo würdest Du leben? Mit wem? Von was? Wer wären Deine Freunde? Wie würdest Du Deine Abende, Wochenenden, Ferien verbringen?
Ich bin in Gedanken spazieren gegangen an dem Abend auf diesem schönen Platz in der Mitte von Reims. Habe mir Menschen angeschaut, die meine Freunde wären, ich sässe in deren Mitte, wir sprechen über Mode und unsere Arbeit. Sah ein kleines Mädchen, das mit ihrem Vater (mein Sohn?) alberte. Hörte die französischen Chansons und sang mit. Später musste ich mich verabschieden, weil im Park mein Verleger zum Abendessen wartete. Wir mussten noch über die Roadtour sprechen, bei der ich mein neustes Buch in den Buchläden des Landes vorstellen und aus ihm lesen sollte. Es war ein vergnügter Abend und als ich später in die Mansarde meines Zuhauses in der Rue Corteau 21 stieg, maunzte mein Kater schon von weitem, weil er unbedingt noch einen nächtlichen Snack brauchte.
Real – stand ich auf und schlenderte den Weg ins Hotel zurück, wo ich mein momentanes Leben wieder traf, kaum französisch sprach und sehr sehr allergisch gegen Katzen bin. Ich mag dieses Leben auch ganz besonders gern.
Aber – was wäre wenn?
Andre Heller hat mir einmal ein Buch signiert. Er schrieb: Für Wiebke Maren. „Die wahren Abenteuer sind alle im Kopf“.
Wo genau warst, bist und wirst du zuhause sein?
Willkommen in der Adlerperspektive.
