Manchmal wird alles einfach ein bisschen viel. Es gibt so Momente, da stapelt sich die Arbeit bereits und dann kommt noch etwas und noch etwas.
Wenn ich schon ohnehin eine todo-Liste habe die ewig lang ist und dann meine Scheinwerferbirnen vom Auto beide ausfallen. Oder nachdem ich ohnehin schon stundenlang geputzt habe fällt mir ein Glas mit einer klebrigen Flüssigkeit auf den Boden und verspritzt alles im Umkreis von 8 Metern, es klingelt an der Haustüre und ich denke an all die Mails, die ich noch beantworten muss. Dann kann es gut vorkommen dass ich die Nerven verliere – oder vor den noch zu erledigenden Aufgaben kapituliere.
Das kennst Du auch: es will einfach nicht weniger werden. Manchmal fangen wir dann bei einem Teilziel an, die neuen Baustellen aufzureissen. Es ist eben einfach – zu viel.
Was können wir dann tun? Alles verkaufen und verschenken und in den Purismus gehen, im Wald und ohne Sachen leben? Kein Haus, kein Auto, keine Verpflichtungen mehr? Die meisten Menschen denken an Flucht, weil sie vor dem Berg stehen und nicht weiter gehen.
Vor Jahren wollte ich mit meinem damaligen Partner auf einen Berg. Es war unsere Abschiedswanderung, mir lag wirklich etwas daran. Am Abend hatten wir das Essen vorbereitet und in handliche Mengen portioniert, die gesamte Ausrüstung geckeckt, die Rucksäcke gepackt, die Füsse mit Tapes versehen, die Kleidung abgestimmt. Früh am Morgen ging es für das erste Teilstück auf die Bahn, dann traversierten wir in Richtung der Route. Wir gingen los, immer bergauf. Wir waren schon zwei Stunden schweisstreibend unterwegs, als wir vor einem Geröllfeld standen. Er ging wie immer beherzt los. Und ich blickte mir dieses schwierige Wegstück an. Nach dem Geröll ging es in steile Alpwiesen, danach kam der Fels. Ich rief ihn und sagte: „Das war’s für mich, ich drehe um, ich will das nicht mehr“.
Ich konnte einfach nicht mehr die Motivation aufbringen, das weiter zu ziehen. Der ganze Weg war schon eine Tortur und angesichts der nächsten Stunden harter Arbeit knickte ich ein und lief, beschwingt von der Freiheit, Nein zu sagen, den Berg hinunter. Ich ging sogar so weit, die Umwelt zu verschmutzen weil ich meine Bergstiefel auszog und sie mit Riesenfreude in einen Tobel warf. Ich habe nie mehr einen Berg bestiegen. Heute bedaure ich, dass wir unser letztes Gipfelbild nicht mehr machen konnten. Aber wir hatten eben etwas Wichtiges vergessen:
Wir hatten die Etappenziele nicht gefeiert. Jedes Mal wenn wir eine Etappe geschafft hatten, waren wir einfach weiter gegangen. Hätten wir aber diese kleinen Momente nach einer bestandenen Herausforderung mit einem langen dankbaren Blick auf das was hinter uns lag „gefeiert“, dann wäre es für mich gewiss einfacher gewesen.
So kann man die Berge heute noch angehen. Wenn Dir die Arbeit, die todo Liste zu lange wird, dann breche kleine Gipfel heraus. Und jedes Mal wenn Du etwas davon abgehakt hast, setze Dich kurz, betrachte das, was erledigt ist und gönne Dir etwas: Fünf Minuten deinen Lieblingssong, einen stolzen Blick auf das was getan ist. Eine SMS in dem Du „JUHU ich hab es geschafft“ schreibst. Eine leckere Belohnung. Ein kleines Freudentänzchen. Oder einfach nur: Tief durchatmen. Du bestimmst das Quantum, das heute erledigt werden kann – und Du belohnst Dich. Und dann gehst Du zurück in den Flow und nimmst das Nächste.
So kannst Du den Berg hochgehen, atmen, pfeifen und Dich freuen.
Nimm Dir nicht zu viel auf einmal vor. Zugegeben ist die Liste am Anfang lang. Aber Du musst sie ja nur einmal schreiben und ab dann ist das ganze Durchlesen verboten. Vielmehr kannst Du sehen wie sie schrumpft wenn Du Linie für Linie durchstreichst.
Was machen Menschen, wenn sie es auf den Gipfel geschafft haben? Genau, sie jubeln, sie schauen sich den Weg an, den sie geschafft haben (ein zutiefst befriedigendes Gefühl). Sie machen einen Freudensprung. Sie feiern die Leistung. Dann steigen sie wieder ab. Aber das Leben hält nicht an. Der nächste Berg kommt bestimmt.
Du musst nicht alle Deine Sachen verschenken und in den Wald ziehen ohne etwas zu besitzen. Aber es hilft schon, sich auch von Dingen zu verabschieden, die einfach nicht mehr sein müssen. So wie bei mir damals: Ich war schon jahrelang mit dem Partner über Berge gegangen. Es war anstrengend. Und ich wusste, dass ich es nach der Trennung leichter haben würde.
Mach Dich frei von dem, was nicht mehr sein muss.
Und das andere machst Du Schritt für Schritt und mit Applaus für Dich selbst.
Willkommen in der Adlerperspektive.
Eine schöne Beschreibung der täglichen Höhen und Tiefen im Alltag. Der Vergleich mit der Bergwanderung trifft das Thema genau ins Schwarze 😉 So kann man sich vor seinem inneren Auge gut vorstellen, wie man zur Lösung kommt, sofern man nur will und den ersten Schritt tut.
Herzliche Morgengrüße von
Heike
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