Kürzlich beobachtete ich eine rührende Szene: Mein Lieblingsmann und ich sassen in einem Cafe und es begann zu regnen. Plötzlich sprang er auf und nahm sich den Arm einer alten Lady, die gerade die rutschig anmutende Treppe hinunter ging. Die beiden konnten kein Wort miteinander wechseln weil sie italienisch und er holländisch spricht, dennoch hatte die Frau totales Vertrauen und fühlte sich nicht belästigt, sondern bedankte sich mit einem riesigen Lächeln.
An diesem Tag sah ich noch einige freundliche Gesten, weil mein Bewusstsein und mein Auge darauf fielen und es gab mir sehr viel Wärme, zu sehen, dass Menschen tatsächlich noch menschlich sein können in einer Welt, die immer egoistischer und abgelenkter wird.
Natürlich ist es immer einfach, freundlich mit Kindern und hübschen Tieren zu sein, vielleicht auch mit alten Menschen, wenn man sich darauf konzentriert. Aber wie ist es mit alltäglichen Begegnungen, Menschen die uns im Zug begegnen, auf der Strasse, im Supermarkt, bei der Parkplatzsuche? Oder überall da, wo gewartet wird?
Bei einem Obststand am Markt, an dem ich kürzlich stand und wartete, werden dann schnell die Ellbogen ausgepackt und es fallen sogar Beleidigungen, wenn man nicht genau in der Reihenfolge dran kommt. Manchmal möchte ich dann gerne sagen: Warum haben Sie es denn so eilig? Muss es schnell gehen das Leben? Muss man schnell weiter? Keine Zeit für die Bedienung? Für ein Lächeln und ein Dankeschön?
Freundlichkeit habe ich von den Engländern gelernt. Nicht jetzt, sondern in den Achtzigern. Ich war total erstaunt, als ich einmal in einen Zug einsteigen musste und mir ein grosser Mann meinen Koffer hinein wuchtete. Natürlich dachte ich zuerst, er will ihn mir stehlen! Ich war voll in Panik, als er ihn nahm und damit einstieg. Dann drehte er sich um und lächelte mich an. Ganz nach dem Motto: „Hab ich gerne für dich gemacht junge Lady“. Als ich in den Folgemonaten sah, wie die Engländer Rücksicht aufeinander nahmen, sich freundlich und zuvorkommend benahmen, war ich sehr erstaunt. Fragte ich nach einem Weg und bekam ihn auch prompt gezeigt, so hiess es nach meinem Bedanken dann gerne: „You are welcome“.
Während dieser Zeit beschloss ich, ein freundliches Leben zu führen. Nicht dass es mir jemand in der Kindheit beigebracht hätte! Ich habe es mir einfach abgeschaut von meinen britischen Vorbildern. Freundlichkeit heisst ja eigentlich auch: Benimm Dich wie ein Freund!
Es will mir nicht in den Kopf, warum das nicht jeder macht. Denn: Freundlichkeit wärmt ja nicht nur den Anderen das Herz sondern auch sich selbst. Man spürt seine eigene Liebe, Zuneigung, Respekt und das eigene Wohlwollen. In den ganz kleinen Gesten.
Freundlichkeit ist auch Sozialkompetenz. Den anderen Menschen mit Respekt, Wohlwollen und Einfühlungsvermögen begegnen, das könnten wir eigentlich alle.
Und dennoch tun sich viele so schwer damit. Wie schade.
Stattdessen werden gerne Youtube Videos auf Facebook herum gereicht, in denen andere freundlich, hilfsbereit und grosszügig sind.
Das kann wirklich jede(r) selbst und sogar ohne Anleitung. Es braucht nur entschlossenes Handeln.
In der selben Woche, in der mein Freund die alte Lady die Treppe hinunter begleitete, war meine Aufmerksamkeit auf die kleinen Szenen des Alltags gerichtet, in denen Freundlichkeit lagen. Das tat mir gut zu sehen. Denn allzu oft begegnete mir auch das Gegenteil: Offene Aversion und Feindseligkeit. Ellbogen und Beschimpfungen, Ignoranz und Egoismus.
Wir alle haben dieses gute Herz, das anderen Menschen freundlich begegnen will. Es braucht nur eine Entscheidung und – Konzentration darauf. Dann kann es leuchten und sich verschenken. Wie schön ist das.
Öffne und trainiere diese Woche einmal das:
Sei freundlich.
Wie die Pfadfinder: „Jeden Tag eine gute Tat“. Es dürfen auch gerne mehr werden. Das gibt Aufwind zum Fliegen.
Willkommen in der Adlerperspektive (aus der ich Dich diese Woche gern imaginär beobachten möchte)