Als ich acht Jahre alt war, stellte ich die erste provokante Frage. Ich sass an einem Tisch, der für das Geburtstagskränzchen meiner Mutter dekoriert war. Nach Kaffee und Kuchen gingen die Männer hinaus zum Rauchen. Meine Tante begann sofort, als mein Onkel aus dem Raum war, schlecht über ihn zu sprechen, ihre unglückliche Ehe und insbesondere seine Unzulänglichkeiten zu beklagen. Die anderen Frauen in der Runde stimmten in das Klagelied ein. Der bald gefundene kollektive Glaube war: Alle Männer sind schlecht. Ich war sehr erstaunt.
Als die Männer zurück kamen, stellte ich verwundert fest, dass alle wieder die Maske der liebenden Ehefrauen trugen. Ich war überrascht und fragte laut und deutlich: „Warum bist du denn mit dem Onkel Hans verheiratet, Tante Rosi, wenn Du ihn doch gar nicht leiden kannst?“
Die Antwort war eine schallende Ohrfeige. In dem Moment wusste ich schon ganz sicher: Ich will alles wissen. Ich will die unangenehmen Fragen stellen. Vor allem aber: Ich will verstehen, was in Menschen, was in Partnerschaften, was in Ehen vor sich geht.
Nach all den Jahren bin ich über die Motive von Menschen in Partnerschaften nicht wirklich viel schlauer geworden. Diese eigenartige Art, miteinander um zu gehen, scheint durchaus gesellschaftlich anerkannt und sogar normal zu sein. Wenn ich mich umschaue, sehe ich nur wenige Partnerschaften, die dieses Prädikat verdienen. Und noch weniger Ehen, die im Himmel geschlossen wurden und auch da geblieben sind.
Manchmal mit dem Herzen, selten mit der Seele,
Kaum je mit Kraft. Wenige – lieben überhaupt.
Emily Dickinson
Liebevolle Beziehungen sind rar, die Scheidungsrate in Deutschland war 1960 bei knapp 11 Prozent, im Jahr 2005 bei 52 Prozent und 2017 waren es noch 38 Prozent. In der Schweiz liegt sie auch jetzt noch etwas unter 50 Prozent.
Ist das traurig?
Ich bin froh, wenn sich Menschen trennen, wenn es nicht mehr klappt. Wenn sie schon jeden Weg versucht haben aber es einfach nicht mehr gut läuft. Wenn einer (oder beide) der Partner das Vertrauen massgeblich verletzt oder sich so benimmt, dass ein Zusammenleben zur Qual wird.
Warum muss man etwas aushalten, ertragen?
Warum halten Menschen an etwas fest, das lange schon vorbei ist?
Warum wird so oft der schöne Schein aufrecht erhalten?
Warum gönnen wir uns nicht alle eine neue Chance?
Warum geben wir uns nicht einfach in Liebe frei für ein neues Morgen?
Natürlich kann man bedauern, dass etwas nicht so geklappt hat, wie man sich das ursprünglich mal vorgestellt hat. Es beruhte eben auf einer
Vor-Stellung – meist auf der Idee, das man es zusammen schaffen würde. Etwas, das alle anderen nicht so gut schaffen. Rosarot und voller wunderschöner Träume starten wir in Ehen und Partnerschaften. Die eigentliche Beziehung beginnt dann nach Jahren. Wenn die rosarote Brille abgesetzt wird, sehen wir plötzlich wieder scharf und leider meistens das, was nicht passt. Gehen wir dann trotzdem weiter oder sind so ehrlich und fair, das Leiden nicht unnötig zu verlängern, die Ent-scheidung heraus zu zögern?
Ich freue mich, wenn Menschen sich für eine Scheidung entscheiden. Denn das heisst, dass sie in Würde und Achtung und irgendwie auch noch ein bisschen mit Restliebe die Konsequenzen ziehen und wieder alleine weiter gehen.
Es könnte doch auch unser Wunsch sein, einander nicht zu „ge-brauchen“ sondern zu ergänzen. Und wenn die Ergänzung nicht mehr wertschätzend und glücksbringend und freudvoll ist, dann eine klare Trennung auszusprechen.
Das Leben ist zu kurz für unglückliche Paarungen.
Der Adler macht das konsequent: Die Adlerin wählt jedes Jahr aufs Neue den Partner für das Brüten und die Partnerschaft. Wenn sich der Partner aus dem vergangenen Jahr als wertvoll erwiesen hat, dann wählt sie ihn – nach der neuen Werbung des Männchens um ihre Gunst – erneut. Wenn es aber nicht mehr reicht, dann trennen sich ihre Wege. An anderer Stelle finden sich neue Paarungen.
Also, Hand auf’s Herz: Geht Ihr noch auf den gleichen, oder auf den anderen Wegen?
Ein wunderschöner Song von Andreas Bourani zeigt: Scheiden / Trennen muss nicht weh tun. Man kann sich auch in Liebe loslassen, damit beide wieder im hellen Licht stehen können.
Seid lieb zu einander – aber auch zu Euch selbst.
(mit diesem Text grüsse ich meine Freundin T.)
Willkommen in der Adlerperspektive.
Auf anderen Wegen
Du willst gehen, ich lieber springen
Wenn du redest, will ich singen
Du schlägst Wurzeln, ich muss fliegen
Wir haben die Stille um uns totgeschwiegen
Wo ist die Liebe geblieben
Ich fühl‘ mich jung und du dich alt
So fallen wir um, uns fehlt der Halt
Wir müssen uns bewegen
Ich bin dafür, du dagegen
Wir gehen auf anderen Wegen
Mein Herz schlägt schneller als deins
Sie schlagen nicht mehr wie eins
Wir leuchten heller allein,
Vielleicht muss es so sein
Mein Herz schlägt schneller als deins
Sie schlagen nicht mehr wie eins
Wir leuchten heller allein
Vielleicht muss es so sein
Dam dam dam dam
Dam dam
Wir sind ein festgefahrenes Ritual,
Das immer stärker brennt
Und ich frage nicht mehr nach,
Was uns verbindet oder trennt,
weil ich weiss
wir fahren weiter im Kreis…
Wir müssen atmen, wieder wachsen
Bis die alten Schalen platzen
Und wo wir uns selbst begegnen,
Fallen wir mitten ins Leben
Wir gehen auf anderen Wegen
Mein Herz schlägt schneller als deins,
Sie schlagen nicht mehr wie eins
Wir leuchten heller allein,
Vielleicht muss es so sein
Mein Herz schlägt schneller als deins,
Sie schlagen nicht mehr wie eins
Wir leuchten heller allein,
Vielleicht muss es so sein
Ich geb‘ dich frei
Ich werd‘ dich lieben
Is‘ ein Teil von dir geblieben
Geb‘ dich frei
Ich werd‘ dich lieben
Frei ich werd‘ dich lieben
Oh, mein Herz schlägt schneller als deins
Sie schlagen nicht mehr wie eins
Wir leuchten heller allein,
Vielleicht muss es so sein
Vielleicht muss es so sein
So sein
Songwriter: Andreas Bourani / Julius Hartog
Hier ist der Song: https://www.youtube.com/watch?v=m-Ik3yy728Y