Die Zeit, die Zeit

Die neue Woche beginnt und wir rennen alle schon wieder. Wir scheinen ständig alle keine Zeit zu haben, fühlen uns getrieben, angeschubbst, vorwärts beschleunigt. Und wir meinen sogar noch, wir müssten ein kluges Zeitmanagement haben, um den Stress zu vermeiden. Weit gefehlt. Die Zeit lässt sich nicht kontrollieren, nicht managen, nicht sparen, nicht verlieren.

Man kann mit der Zeit nur eins machen: Sie leben.

In der vergangenen Woche kam ich gleich einige Male mit dem Thema Zeit in Berührung.

Mich fragte ein Autofahrer ob er mir „schnell“ eine Frage stellen dürfe. Ich antwortete, er dürfe mir durchaus auch langsam eine Frage stellen. Worauf er entgegnete, er wolle mir ja keine Zeit stehlen. Ach so? Kann man Zeit stehlen? Habe ich denn Wichtigeres zu tun, als gerade hier zu sein?

Ich las, nach einer Studie schauen Menschen durchschnittlich pro Tag 87 Mal auf ihre Smartphone oder in einen anderen Bildschirm. Und die durchschnittliche Surfdauer im Internet oder im Smartphone liegt bereits bei 135 Minuten pro Tag! Was für eine Zeitverschwendung?

Ein jugendlicher Klient zeigte mir, wie gelassen er mit der Zeit umgeht. Ich gab ihm immer wieder Zeit für Denkpausen, weil mentale Arbeit eben auch anstrengend sein kann. Und die nahm er sich dann, schwamm ausgiebig im See, ging spazieren oder machte mal: Nichts. Ich genoss es, ihm beim Nichtstressen zu zusehen. Wie erholsam, ein Mensch mit Zeit!

Und ich erlebte die Entschleunigung einer Freundin, die mich für drei Tage besuchte. Sie kommt immer mit To-do-Listen im Kopf, will wissen, was wir wann genau machen, wie es weiter geht, was als nächstes ansteht. Wie herrlich zu sehen, wie sie immer mehr ruhig wurde und den kostbarsten Moment hatte, als sie sich in eine hohe Blumenwiese legte oder dem Rauschen eines wilden Wassers lauschen konnte.

Wir sassen vereint und sahen dem Wasser zu. Und da kam es uns beiden so vor, als ob wir etwas Wichtiges verstanden haben: Das Wasser lässt sich nicht festhalten, es fliesst durch alle scheinbaren Hindernisse hindurch. Es nützt auch nichts, sich mit Sorgen oder Blockaden aufzuhalten, wie das Wasser fliesst alles einfach weiter, die Zeit, die Geschehnisse, was sein soll geschieht, was nicht sein soll kann nicht erzwungen werden.

Wie kann man der Zeit mehr Leben geben? Sie bewusst wahrnehmen und damit auch wirklich erleben?

Wie kann man die Kostbarkeit des Moments erkennen und so leben, dass er zu einem Juwel der Erinnerung wird?

Spannend, dass, wenn wir keine Erinnerungen erschaffen können, unsere Vergangenheit im Nebel versinkt. Erinnerungen können aber nur bewusst und in der Gegenwart erschaffen werden.

Eine Freundin hatte kürzlich einen Augenblick, etwa eine oder zwei Minuten, Angesicht zu Angesicht mit einem Hirsch, den sie bei einer Wanderung antraf. Sie standen völlig still voreinander und schauten sich in die Augen. Mit der kleinsten Bewegung der Freundin sprang er davon, aber sie sagte: Der Augenblick sei ein Moment für die Ewigkeit gewesen, sie würde sich immer daran erinnern.

Mache heute ein kleines Experiment. In einem Moment, in dem gerade nichts super dringend erledigt werden muss, halte inne. Beobachte etwas für ein paar Minuten. Atme. Konzentriere Dich ganz auf das, was Du wahrnehmen kannst.

Lebe einen Moment in der Zeit. Spüre dass sie da ist.

Du kannst diesen Moment jeden Tag erleben. Und süchtig danach werden. Die beste Suche (Sucht) überhaupt: Das Leben in der Zeit entdecken.

Fülle es aus, das Leben. Lass Dich nicht stressen. Du musst kein hektischer Kolibri (40 bis 50 Flügelschläge pro Sekunde!) sein, Du kannst den anstrengungslosen Flug des Adlers wählen (gleitet mit der Thermik).

Mach mal einen Moment Pause, erlebe die Zeit.

Willkommen in der Adlerperspektive.

 

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2 Gedanken zu “Die Zeit, die Zeit

  1. Ansaldi, Barbara

    Liebe Maren

    Ein sehr schöner Blog …. Genau das nehme ich mir vor!
    Und hat die Story mit dem Hirsch nicht auch Ähnlichkeit mit meinem Murmeli, das ich auf meiner Wanderung gesehen habe?
    Das war wirklich auch ein ganz besonderer Moment und ich erinnere mich immer wieder daran. Vor allem weil mir aufgefallen ist, dass ich nur auf diesem einsamen Spaziergang überhaupt die Chance hatte, eines anzutreffen weil ich ganz für mich allein in der Ruhe der Natur gelaufen bin ohne mich durch Musik oder Geschwätz abzulenken.

    Have a nice day … baci, Barbarella

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