Ich könnte kotzen!

Seit einigen Jahren ist es üblich geworden nicht mehr lautstark, manchmal vielleicht auch einmal aggressiv motiviert oder ohnmächtig-wütend, verbal Farbe zu bekennen. Kein Aufschrei geht mehr in die Öffentlichkeit, meist bemühen wir uns angestrengt um Haltung und Contenance. Wir halten unsere Emotionen zurück bis sie tsunamigleich explodieren und nicht selten dann am falschen Ort mit den falschen Menschen viel Schaden anrichten.

Man zuckt heute unmerklich zusammen wenn jemand einmal laut seine Meinung sagt, mit der Faust auf den Tisch haut und ausdrückt, was ihm oder ihr missfällt. Es ist normal geworden alles zu relativieren und den Ball schön flach zu halten. In der neutralen Schweiz traut sich kaum jemand noch öffentliche Kritik, von persönlichem Kritisieren ganz zu schweigen. Wir sind weichgespült und erstaunlich angepasst und brav geworden.

Wie wohltuend wäre es, einmal in der Woche ein Ritual einzuführen in dem man mal ungefiltert und hässlich alles sagen darf, was man denkt und fühlt und was einen mehr und mehr vergiftet. Wenn es diese kleinen Ausbrüche aus der Konformität gäbe, würden sich die angestauten Aggressionen nicht ins Endlose kumulieren.

Letzte Woche las ich einen herrlichen kleinen Gefühlsausbruch einer Freundin auf Facebook:

Wann sind wir zu berechnenden- kapitalistischen Arschlöchern geworden??

Es ging um den Umgang mit der Kapitänin der „Sea Watch“.

Ganz plötzlich fielen mir noch ein Haufen anderer Sachen auf, die ich wirklich zum Kotzen fand. Ich beobachtete wie ich reagierte:

Ich versuchte immer in meiner Ruhe zu bleiben, Erklärungen zu haben für solches Verhalten. Ich sendete Frieden und Gelassenheit und auch Durchhalteparolen und positive Umformulierungen.

Einmal hatte ich das zweifelhafte Vergnügen eine Verbalattacke abzubekommen von einem frustrierten Menschen. Ich war mit der Fülle der gesammelten Boshaftigkeiten total überfordert.

Jedes kleine Details zum aktuellen Zeitpunkt hätte mich nicht gestresst aber alles so auf einen Schwung wie eine Wagenladung Scheisse, das war dann doch ein bisschen zu viel. Ich weiss noch was ich ihm sagte: „Na das hat Dich jetzt aber sicher erleichtert das mal loszuwerden, schön, dass Du Dich getraut hast“ (das war gelogen…. denn….)

Ganz ehrlich: ICH FAND DAS ZUM KOTZEN.

Und ich ertappe mich öfters dabei, dass ich mir nicht mehr erlaube auszuflippen, mal zu jammern und auch mal zu schimpfen. Nicht einmal Paroli zu bieten. Und auch nicht zu sagen was mich stört.

Ganz besonders deutlich wurde mir das gespiegelt, als ich einen wunderbaren Mann aus dem Kosovo traf in der letzten Woche. Da er anfangs seiner 30er ist fragte ich ihn, wieviel er vom Kosovo Krieg mitbekommen hatte. Er sagte mir, er wisse in seiner Heimat keine Familie, die nicht jemanden verloren hat, keinen Menschen, der nicht irgendwie traumatisiert ist durch das, was an Greueltaten stattgefunden hat. Er sprach von einem Cousin, dem sie den Kopf abgeschnitten hatten und über dessen Angst die Täter schallend und hämisch gelacht hatten.

Ich hatte die Augen voller Tränen als er ein paar andere Taten erzählte und sagte: „Ich finde es entsetzlich wozu manche Menschen in der Lage sind. Solche Dreckschweine!“

Der junge Mann reagierte ganz pragmatisch. Das Leben müsse weiter gehen und wir alle wären aufgerufen wieder von Neuem zu beginnen nach einer Weile.

Aber können wir nicht wenigstens ab und zu mal so richtig fluchen, jammern, uns vulgär ausdrücken, verurteilen, beschimpfen und beklagen was wir zum Kotzen finden?

Mach das mal: Mach Dir eine Liste und spucke mal das ganze Gift aus, das in Deinem Kopf und vielleicht auch in Deinem Herzen ist. Leere Dich aus.

Sprich alles aus, was Dich stört, was Du anklagst und was Du nicht mehr ertragen willst.

Und dann lass auf dem frisch gedüngten Feld wieder Blumen wachsen.

Denn das ist wichtig: Ausschütten, bedanken bei sich selbst für die Reinigung. Und dann: In einen konstruktiven, frischen und guten Drive kommen um Misstände zu verändern.

Nicht gegen, sondern für etwas sein – nicht gegen, sondern für etwas kämpfen.

Das ist Mut.

Nun: Schritt 1: Was findest Du aktuell oder schon länger wirklich zum Kotzen?

Schritt 2: Schreib es auf, sprich es aus. Alleine oder mit einem der das freiwillig anhören will ohne mit Ratschlägen einzugreifen und ohne zu beschwichtigen.

Schritt 3: Und jetzt aufatmen und dann volle Kraft voraus nach vorne.

Lass den Dreck los.

Willkommen in der Adlerperspektive.

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