Letzte Woche bekam ich die traurige Nachricht über den Freitod einer lieben Freundin. So eine Nachricht schockiert immer und es ist ganz schwer, das zu verarbeiten und zu verdauen. Auch wenn wir einige Jahre ins Land haben ziehen lassen, seit wir uns nicht mehr gesehen haben, es war ein riesiger Verlust. Wir hatten uns aus den Augen verloren. Mein Leben ging schnell weiter, ihres aus dem Stillstand in den Rückwärtsgang. Sie hatte eine lange tragische Geschichte, der sie zu diesem finalen Schritt bewegte. Es konnte kaum bitterer sein. Und noch immer bin ich erschüttert über das, was ihr zugestossen ist.
Ihr Liebster und ich sassen zusammen und redeten und redeten. Und es einte uns eines: Er sagte er hätte doch mehr versuchen sollen. Hätte sie wieder und wieder retten wollen. Ich bedauerte, keinen Kontakt mehr gesucht zu haben, ihr nicht hatte helfen können, weder als Freundin, noch als Coach. Ich beauerte auch, dass sie sich nicht bei mir meldete. Das Qualvolle: Sie sagte, sie sei es nicht (mehr) wert, dass man ihr helfen würde. Sie habe zu viele Fehler gemacht, zu oft den falschen Weg eingeschlagen, wäre zu weit entfernt von dem strahlenden, wundervollen, glücklichen und herrlich wildem Mensch, der sie gewesen ist.
Nicht helfen können, das begegnet uns immer wieder. Und es macht uns traurig und fassungslos und ohnmächtig. Nicht nur bei Suiziden, sondern ganz allgemein, wenn Menschen, die wir lieben, leiden. Oder wenn das Schicksal Menschen beutelt und wir nicht eingreifen können. Diese Ohnmacht, die wir dann empfinden, ist bedeutsam und sie macht uns auch zu Liebenden. Denn: Wir nehmen Anteil. Wir fühlen mit. Wir spüren den Drang, einzugreifen, wollen die Lage der Menschen verbesser, helfen. Letztlich vielleicht sogar ein bisschen die Welt retten. Wir alle haben diesen tiefen Wunsch füreinander da zu sein, uns zur Seite zu stehen. Jeder von uns fühlt das. Wenn wir jung sind, noch ganz stark.
Manchmal stumpft das ab, wenn wir älter werden. Wir verschliessen unser Herz bisweilen. Wie oft hast sicher auch Du schon gehört: Ich kann ja gar nichts tun. Ich kann sowieso nichts ändern. Ich mache da keinen Unterschied. Die Hilflosigkeit ist lähmend geworden und sie schmerzt. Wir sind dem ausgesetzt. Jeder von uns und jederzeit.
Auch in der letzten Woche hatte ich eine zarte, junge Frau in meinem Coaching. Auch sie trägt eine schwere Bürde und versucht tapfer, es zu ertragen. Diesmal geht es nicht um sie selbst, sondern um die Hilflosigkeit einer Angehörigen gegenüber. Sie sagte im Coaching: „Ich kann alles händeln“. Und ich sah dabei ihren Gesichtsausdruck: Der Schmerz war spürbar im Raum.
Nein, wir können nicht alles händeln. Es gibt auch Dinge, die uns auf den Boden zwingen, die uns ohnmächtig fühlen lassen, uns erschüttern und frustrieren.
Im Prinzip ist das einfach zu verstehen: Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, kann das wie eine Zurückweisung erlebt werden. Ein Suizid ist die endgültigste Form, eine Beziehung abzubrechen und sich allen weiteren Verpflichtungen, Verantwortungen und Bedürfnissen zu entziehen. Der Aspekt des Verlassenwerdens und des Alleingelassenseins steht oft im Mittelpunkt des Trauerns nach einem Suizid .
Dem voraus gegangen ist etwas, das ganz schwer wiegt: Wir fragen nicht (mehr) nach Hilfe. Wir wollen stark sein, den anderen nicht belasten, keine Mühe machen. Wir sind darauf getrimmt alles auszuhalten, mit allem alleine umgehen zu können. Auch die Gesellschaft zwingt uns, immerzu perfekt, gut, leistungsfähig und funktional zu sein. Und den anderen wollen wir uns nicht (mehr) anvertrauen, weil wir Angst haben, zu viel zu werden, zu viel Aufmerksamkeit zu verlangen, den anderen zu belasten oder traurig und enttäuscht zu machen.
Und ganz oft ist es ja auch so, dass Menschen uns nicht aushalten, wenn wir lange schwächeln. Wenn wir „nicht mehr hoch kommen“ aus dem Tal der Tränen. Wenn wir nicht mehr die oder der sein können, die wir einmal waren, die die anderen haben wollen. Ich höre in meiner Arbeit auch oft: Ich will ihn/sie so zurück haben, wie er/sie war.
Das Leben ist leider nicht nur Party und Ponyhof. Es findet in Wellen nach unten und oben statt. Für jeden, leidenschaftslos, wir gehen alle auf und ab. Es ist ein Zeichen von Liebe, beieinander zu bleiben, wenn Dinge aussichtslos erscheinen, wenn wir füreinander da sind.
Aber: Es ist auch ein Zeichen von Liebe und Intimität, um Hilfe zu bitten. Die Hand auszustrecken und zu sagen: Hilf mir. Dann geben wir einander die Möglichkeit uns beizustehen und vergrössern die Liebe unbewusst auch. Wer sich schwach zeigen kann ist eigentlich stark. Wer um Hilfe bitten kann, macht sich verwundbar. Wer die Hilfe geben kann ist wirklich in der Liebe.
Brauchst Du Hilfe?
Hast Du den Mut darum zu bitten?
Dann zögere nicht. Öffne die Tür zu Deinem Herz. Und strecke die Hand aus.
Willkommen in der Adlerperspektive.

Diesen Blog widme ich Alexandra in liebevoller Verbindung und mit viel Traurigkeit, weil Du den Weg nicht mehr gefunden hast.
Und ich verneige mich vor Michele. Ich habe nie einen Menschen gesehen, der mehr geliebt hat.