In der letzten Woche habe ich mit vielen seufzenden Menschen gesprochen. Die Last, die sie tragen, habe ich Ihnen schon von Weitem angesehen. Im Gespräch stellte sich heraus, dass das, was sie tagtäglich und zum Teil schon sehr lange tun, nicht nur eine Pflicht ist, sondern ganz oft: Als Pflicht, als Last empfunden wird. Und dass die Pflichten zum Teil gar nicht von ihnen selbst erledigt werden müssten, sondern es so etwas wie eine „heilige Pflicht“ ist, zu der sie sich verpflichtet fühlen, für die sie sich auch verantwortlich fühlen „wollen“.
Als Beobachterin kann ich dann einwirken: Ihnen helfen zu sehen, dass das gar nicht, so wie sie es tun, nötig wäre. Dass man Dinge auch delegieren kann. Dass man auch nicht alles selbst machen muss. Dass man ganz grundsätzlich nicht alles machen muss. Und vor allem: Dass wir auch Klischees loslassen dürfen. Dass wir auch neu überdenken und entscheiden dürfen.
Ein klassisches Beispiel: Muss eine Frau, die 100% arbeitet auch noch nebenbei die perfekte Hausfrau sein? Also damit 200% arbeiten? Oder kann man auch da mal: Arbeit reduzieren oder delegieren? Wer erwartet von dieser Frau, alles perfekt zu machen obwohl sie müde von ihrer täglichen Arbeit kommt? Meistens ist es leider die Frau selbst, weil sie noch an alten Bildern hängt. Vielleicht hat sie früher nicht so viel gearbeitet oder sie hat noch mit dem alten Ehebild geheiratet, dass die Frau sich ums Haus (Nest) kümmert und der Mann auf die Jagd geht?
Ich erinnere mich da an eine Klientin, die vor vielen Jahren in meinem Coaching war. Beim Analysieren ihrer momentanen Situation sagte sie etwa 25 mal: Ich will leben! Ich will doch leben! Ich will nur das Leben leben!
Ich hörte das für meinen Geschmack zu oft und musste heftig intervenieren: DU lebst doch schon! Das hat nichts mit wollen zu tun! Du kannst höchstens wählen nicht mehr leben zu wollen! Aber leben tust Du! Sitzt vor mir, atmest, bewegst Dich, lebst? Was denn sonst?
Der Erkenntnisprozess traf die Klientin wie ein Schlag. Sie lebte ja! Wir hatten einen längeren Lach-flash. Und danach ging alles leichter.
Und ich denke an meinen Freund Pan, der in einem Haus und Garten lebt, das voll dekoriert ist wie Tausendundeine Nacht. In seinem Lebensraum finden sich unendlich viele Schätze, die bewundert, gepflegt, neu arrangiert und ständig noch weiter erweitert werden. Viele sehen in diesen tausenden schönen Sachen auch die Last, diese zu pflegen und sich darum zu kümmern. Er geht aber mit grossen, staunenden, leuchtenden Augen durch sein Reich und feiert sie. Er liebt die Pflege seiner Welt.
Aber nochmals zu unserem Denk-Gefängnis:
Was meinst D U zu müssen?
Ich behaupte gerne: Gar nichts musst Du. Ausser die Grundbedürfnisse deines Körpers befriedigen: Atmen. Schlafen. Essen. Trinken. Ihn warm und sicher halten.
Das ist es.
Alles andere: Ist LUXUS.
Wenn Du meinst unbedingt noch aufräumen, putzen, die Post erledigen zu müssen: Luxus. Das Auto waschen. Die Einkäufe machen. Die Fenster putzen. Die Möbel reparieren. Die Party planen: Luxus. Die Strasse kehren, Feriengepäck packen, den Zaun streichen, den Hund bürsten, das Recycling wegbringen, den Wein besorgen: Luxus. Den Grill reinigen, den Rasen mähen, die Wäsche bügeln, die Hemden aus der Reinigung holen: Luxus.
Du m u s s t gar nichts! Das ist Deine Wahl! Wer wollte das Haus, den Garten, das Auto, die Haustiere, ja auch die Kinder? Wer wollte heiraten? Freunde haben? Einladungen machen? Ferien? Wer wollte es schön und damit auch pflegeintensiv haben? Wer wollte Karriere machen? Wer wollte einen eigenen Laden? Wer wollte das zweite Auto, das E-Bike, die Skier, die Sportgeräte? Alles Deine Wahl. DEINE Wahl.
Du darfst Dir bewusst machen: Das ist alles selbst gewählt.
Du kannst diese Dinge gerne machen, dich darum „kümmern“ und zwar mit dem Gedanken, dass es Luxusaufgaben sind.
Und Du kannst sie auch einfach aufgeben. Den Job kündigen. Das Haus verkaufen. Den Fuhrpark reduzieren. Kein neues Tier anschaffen wenn das jetzige das Zeitliche segnet. Du kannst Dich auch trennen, wenn Dir Dein Partner zu nervig wird. Du kannst alles tun. Du hast immer die Wahl. Und Du kannst auch alles lassen. Das ist auch Deine Wahl.
Manchmal reicht es schon über diese Freiheit nachzudenken und man fühlt sich frei. Und dann, wenn man es gedanklich mal losgelassen hat kann man sich neu entscheiden: Will ich das? Ja? Dann liebe ich es.
Ich streichle jetzt mal meinem Husky über sein kuscheliges Fell. Er verliert jeden Tag tausende Haare in meinem Haus. Dann sauge ich. Auch jeden Tag. Was für ein Luxus!
Willkommen in der Adlerperspektive.